Sonntag, 5. Oktober 2025

[Schnipseltime] Erben alter Feindschaft von Emily Margaret Walsh


 

„Das Gleiche wie immer.“ Müde schielte er zu der Uhr hinterm Tresen und als die Bedienung, auch nach einigen Sekunden nicht zu reagieren schien, wiederholte er seine Antwort.

„Ich kenne Sie nicht“, sagte diese verwirrt.

Isaac rieb sich die Augen und betrachtete die blonde Frau genauer. „Stimmt“, murmelte er. „Ich kenne Sie auch nicht.“

Sie schmunzelte. Wahrscheinlich war sie neu und hielt ihn wegen der unordentlichen Haare und den tiefen Schatten unter den Augen für einen Spinner.

„Also“, fragte sie nochmal, unerwartet freundlich. „Was hätten Sie gern?“

„Kaffee schwarz. Mit Sahne.“

Die junge Frau zögerte. Den bisher noch leeren Becher in der Hand, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Wäre das denn dann noch Kaffee schwarz?“, fragte sie irritiert.

„Keine Kaffeesahne, Schlagsahne. So eine Mütze oben-drauf“, erklärte Isaac in diffusen Gesten.

Sie nickte und füllte das schwarze Gebräu in den, laut Aufschrift, biologisch abbaubaren Pappbecher. Obendrauf türmte sie eine perfekt geformte Sahnemütze. „Möchten sie noch Streusel obendrauf?“, fragte sie grinsend. Isaacs erschöpfte Miene leuchtete auf und wenig später hielt er einen schwarzen Kaffee mit einer süßen Sahnehaube und bunten Zuckerstreuseln in der Hand.

Er inhalierte den Duft von frischem Kaffee und trat ins Freie, wo ihm die Sonne direkt ins Gesicht schien. Die grellen Strahlen blendeten ihn. Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und schirmte sie mit der freien Hand von der Sonne ab. Er steuerte, immer noch die Hand vor den Augen, auf einen kleinen Tisch im Schatten zu, als er auf einmal einen heftigen Stoß in die Seite bekam und sich die Hitze des Kaffees in seine Haut fraß.

Ihm entwich ein kurzer Schrei, genau wie dem Mädchen neben ihm. Er blinzelte gegen die Sonne und musterte sie. Ihre braun gewellten Haare waren ihr bei dem Zusammenstoß ins Gesicht gefallen. Sie zog ihre Augenbrauen seltsam zusammen und schob den Unterkiefer nach vorn, als sie Isaacs prüfenden Blick erwiderte. Sie sah, wie er fand, ziemlich lustig aus, was sich in seinem Gesicht spiegelte.

„Was lachst du denn so blöd?“, fauchte sie und richtete sich auf.

„Du schuldest mir einen Kaffee“, erwiderte Isaac. Er grub in seinen Hosentaschen und zog schließlich ein zerknülltes Taschentuch heraus.

„Wie bitte?“ Sie lachte und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Einen kurzen Augenblick zögerte er. Er kannte dieses Gesicht. Erkannte sie ihn auch? Es schien nicht so.

„Du bist in mich reingerannt und hast meinen Kaffee verschüttet“, sagte er dann achselzuckend und versuchte mit dem Taschentuch den Kaffeefleck aus seinem hellenT-Shirt herauszureiben.

„Du hast nicht geschaut, wo du hinläufst“, sagte sie.

„Du aber auch nicht. Sonst wärst du wohl kaum in mich reingerannt“, entgegnete Isaac.

Das Mädchen verdrehte die Augen und strich bedeutungsvoll ihr T-Shirt glatt. „Ich habe keine Zeit dafür“, sagte sie und wollte geradewegs an ihm vorbei gehen.

„Komisch“, sagte er und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich habe jede Menge Zeit.“ Er stellte sich ihr grinsend in den Weg, woraufhin sie fast erneut in ihn reinlief. Sie stand kaum eine Hand breit vor ihm und schielte verärgert zu ihm hoch.

„Gut“, sagte sie schließlich und verschränkte demonstrativ die Arme. „Ich hol dir deinen blöden Kaffee, aber nicht hier.“

„Ist das dein Ernst?“ Isaac lachte. „Ich dachte du hast so wenig Zeit.“

„Dafür habe ich genug Zeit.“

„Das ist aber mein Lieblingscafé.“

„Mir egal. Du wolltest einen neuen Kaffee, also kriegst du einen. Los komm“, sagte sie und drehte sich um.

„Nein.“ Isaac blieb an seinem Platz stehen und musste sich ein Grinsen verkneifen. Das Mädchen war bereits einige Schritte vorgelaufen und drehte sich nun verärgert um. Sie schob wieder trotzig ihren Unterkiefer nach vorne und stapfte zurück.

„Es ist doch wohl egal, wo du deinen Kaffee herkriegst.“

„Wenn es so egal ist, warum sparen wir uns dann nicht den Weg?“, fragte Isaac. „Hast du hier mal geklaut oder so?“

„Ich habe hier mal gearbeitet, du Vogel“, antwortete sie prompt, doch das wusste er längst. Er kannte diese haselnussbraunen Augen, auch wenn sie normalerweise etwas freundlicher guckten.

„Du wurdest gefeuert.“, stellte Isaac fest und konnte sich das Lachen nicht länger verkneifen. „Warum bloß, wo du doch so ein Sonnenschein bist?“

Das Mädchen versetzte ihm einen unsanften Stoß gegen die Schulter. „Halt die Klappe und komm mit.“

„Ganz bestimmt nicht.“ Isaac wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich will definitiv hier meinen Kaffee.“

„Was bist du denn für ein sadistisches Arschloch?“ Das Mädchen stampfte mit dem Fuß auf den Boden, was eine kleine Staubwolke aufwirbelte. Sie zog sich umständlich den Rucksack von den Schultern und nestelte im Seitenfach. Mit einer Ausladenden Bewegung zog sie ein kleines Stoffportemonnaie heraus und fuchtelte damit vor Isaacs Gesicht herum. Dann drehte sie sich um und ging mit langen Schritten und gehobenem Kinn in das Café. Isaac folgte ihr grinsend.

„Cassandra“, zwitscherte die blonde Frau, die Isaac seinen ersten Kaffee verkauft hatte, und zeigte ihre kalksteinweißen Zähne. „Mit dir hätte ich hier nicht gerechnet.“

Das brünette Mädchen verzog keine Miene und deutete mit ihrem Portemonnaie auf Isaac. „Kaffee schwarz, ungesüßt mit Schlagsahne“, sagte sie ohne Zögern und fügte ein bissiges „Am besten mit Schokostreuseln.“ Hinzu.

Die junge Frau hinterm Tresen klimperte kurz mit den Wimpern, als sie Isaac hinter Cassandra erspähte, und wendete sich dann wieder ihr zu. „Kommt sofort“, säuselte sie.

Als sie ihnen den Rücken zudrehte, um den Kaffee zuzubereiten stupste Isaac Cassandra grinsend an. „Du erinnerst dich an mich.“

Ihr fiel der neutrale Ausdruck aus dem Gesicht, um den sie sich so bemüht hatte und verdrehte die Augen. „Ich erinnere mich an deine kranke Bestellung“, sagte sie mit tiefster Verachtung in ihrer Stimme. „Jeden Tag, bei jedem Wetter. Brühwarmes, bitteres Gesöff mit Sahne.“

Isaac wippte grinsend vor und zurück, während sie auf seinen Kaffee warteten. Als die Frau die Schokostreusel auf der Sahnemütze verteilte murmelte er gerade laut genug: „Ich finde die bunten Streusel besser.“

„Schokostreusel passen besser“, antwortete sie kalt. Dann fügte sie mit einem schiefen Seitenblick hinzu: „Aber wenn du deine Getränke selbst bezahlst, kannst du meinetwegen auch die quietschbunten Zuckerstreusel haben.“

Er wollte etwas erwidern, doch da schob die Frau seinen Kaffee über die Theke.

„Zwei Euro achtzig“, sagte sie und lächelte gekünstelt in Isaacs Richtung. Cassandra legte das Geld passend auf den Tresen und drückte Isaac den Becher in die Hand.

Er sah sie weiterhin breit grinsend an.

„Was?“, fragte sie. „Soll ich deiner Mutter noch das Waschmittel erstatten?“ Zu einer Antwort kam Isaac nicht mehr.

Ein lautes Geräusch ließ die beiden erschrocken zusammenfahren. Eine Frau am anderen Ende des kleinen Cafés war panisch aufgesprungen, wobei der runde Tisch, an dem sie gesessen hatte, scheppernd zu Boden gegangen war. Sie taumelte rückwärts, beide Hände um den Kragen ihres T-Shirts gekrallt. Panisch wanderte ihr Blick durch den Raum, während sie verzweifelt nach Luft schnappte.

Isaac drückte Cassandra den Kaffee zurück in die Hand und rannte zu der Frau. Cassandra folgte ihm.

Er kniete sich neben sie und nahm ihre Hand.

„Hey, es ist alles in Ordnung“, versuchte er sie, und zum Teil auch sich selbst, zu beruhigen. „Haben sie etwas verschluckt?“ Er versuchte den Kopf der Frau in den Nacken zu legen, um nachzuschauen. Doch die Frau schüttelte verkrampft den Kopf und hämmerte mit einer Faust auf ihren Brustkorb, schleppend und in einem unregelmäßigen Rhythmus.

„Nehmen sie die Arme hoch.“ Immer noch mit einer Hand ihren Kragen umklammernd, schüttelte sie den Kopf. Tränen quollen aus ihren Augen. Sie versuchte etwas zu sagen, doch sie war zu nicht mehr als einem kläglichen Röcheln im Stande.

„Hey, hey. Sehen sie mich an. Alles wird gut. Sie müssen nur die Arme über ihren Kopf nehmen und ruhig weiter atmen.“ Isaac drehte sich in die gaffende Menge. „Einer muss einen Krankenwagen rufen, verdammt!“

Cassandra zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte den Notruf. Nachdem sie der Person am anderen Ende die Situation geschildert und den Ort genannt hatte, fragte sie sich durch die Cafébesucher und Passanten auf der Suche nach einem Arzt.

Isaac saß weiterhin neben der Frau am Boden. „Alles wird gut.“

Schließlich wurden das panische Zucken und Schluchzen ruhiger und sie schnappte nur noch vereinzelt nach Luft. Vorsichtig ließ Isaac die Frau zu Boden. Ihre blauen, tränennassen Augen wanderten an der Decke entlang.

„Alles gut“, flüsterte er, während das Rot ihres Gesichts verblasste und die Haut blau anlief. Nach einigen Sekunden fiel ihr Kopf zur Seite und sie blieb regungslos am Boden liegen. Er griff ihr Handgelenk und legte Zeige- und Mittelfinger auf ihre Pulsader. Nichts.

Sofort beugte er sich nach vorn und legte beide Hände auf ihr Brustbein. Dann begann er in einem gleichmäßigen Rhythmus zu pumpen. „Der Krankenwagen kommt gleich“, flüsterte er mit zittriger Stimme.

Die sechs Minuten, die der Rettungsdienst zum Café brauchte, verliefen zäh wie Kaugummi, langgezogen in klebrige Schlieren, die sich wie Stunden anfühlten. Zwischenzeitlich übernahm Cassandra den regelmäßigen Wechsel von Pumpen und Beatmen für Isaac, damit er sich einige Augenbliche beruhigen konnte. Als der Rettungsdienst schließlich ankam, hatten sie nicht mehr viel zu tun.

„Zeitpunkt des Todes: Elf Uhr 39“, sagte der Sanitäter mit einem Blick zur Uhr hinterm Tresen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Abschicken des Kommentars bin ich mit den Datenschutzrichtlinien des Blogs einverstanden.