Sonntag, 6. Juli 2025

[Schnipseltime] Clydesdale Castle - Gespalten von Tina Kallscheuer

 

1 Flynn

 

Genervt klopfte ich an die Badezimmertür, hinter der Rory sich verschanzt hatte. »Wir müssen los, Mann!«, ließ ich meinen Zimmernachbarn wissen.

»Ja, Moment. Bin gleich da.«

Ich strich mein Poloshirt glatt, das ich für den heutigen Tag extra hatte bügeln lassen und verharrte kurz mit den Fingern über dem Wappen, das auf meiner Brusttasche aufgestickt war. Heute war ein wichtiger Tag für Heaven’s Hill und seine Repräsentanten. Wir mussten Clydesdale Castle schlagen! Obwohl ich zugeben musste, dass ihre Mannschaft in diesem Jahr stark war. Was nicht bedeutete, dass wir keine Chance hatten – nur, dass wir uns wirklich anstrengen mussten.

Die Tür wurde aufgerissen und Rory stolperte heraus. Er trug das gleiche weiße Poloshirt wie ich, doch sein Kragen war halb aufgestellt und seine Haare sahen zerzaust aus. Von wegen Ich habe mein Snooze-Verhalten unter Kontrolle! Nichts hatte er unter Kontrolle. Ich zupfte seinen Kragen glatt und besah mir prüfend sein restliches Outfit: graue Jogginghose und Laufschuhe. Wenn unsere Lehrer ihn so sahen, würden sie die Krise bekommen. Am heutigen Tag sollten wir uns besonders rausputzen.

»Du bist sowas von am Arsch, wenn dich jemand so sieht«, murmelte ich.

»Warum soll ich mich denn schon in die unbequeme Kleidung zwängen, wenn ich mich gleich sowieso wieder umziehe?«, gab Rory zurück. »Komm jetzt, wir sind spät dran.«

Damit ließ er mich stehen und ich schüttelte kurz den Kopf über so viel Ignoranz, nur um ihm dann nachzulaufen. Die Flure des Schlosses waren wie ausgestorben. Wo man sonst kaum lang gehen konnte, ohne jemandem zu begegnen, herrschte gähnende Leere. Die anderen Repräsentanten befanden sich vermutlich im Repräsentanten-Saal und der Rest der Schüler lag noch selig in ihren Betten.

Unsere Schritte hallten von allen Seiten wider, während wir eilig an den Portraits der ehemaligen Clan-Chiefs der MacLeods vorbeischritten. Wir würden unsere Vorfahren heute stolz machen. Dafür würden wir gemeinsam sorgen.

Als wir in unserem Gemeinschaftsraum ankamen, waren meine Kumpels dabei, sich die Schutzausrüstung für das Fechtturnier anzulegen. Der Repräsentanten-Saal war, wie der Name schon sagte, nur für die Repräsentanten reserviert. Hier konnten wir uns treffen oder zurückziehen, wann immer wir wollten. Es war ein Raum mit hohen Decken. Im Gegensatz zum Rest des alten Schlosses wurde er von mehreren modernen Deckenstrahlern hell erleuchtet. Auf dem großen Ledersofa lag Laurence breit ausgestreckt und machte keine Anstalten, sich zu erheben. Sein Fuß wippte unruhig auf der Lehne herum, während er einen kleinen Ball immer wieder in die Luft warf und auffing.

Direkt über ihm hing das Wappen der Schule: Es war wie ein Schild geformt und von gelben und dunkelblauen Rändern eingerahmt. In der Mitte prangte die Silhouette eines Reiters auf einem steigenden Pferd. Daneben hingen an den Wänden diverse Fotos und Gemälde von früheren, erfolgreichen Repräsentanten in Heaven’s Hill, die vor der Schule posierten. Eines davon war im letzten Jahr von uns aufgenommen worden. Damals waren Curtis und Laurence noch nicht dabei gewesen. Einer unserer Kumpels machte letztes Jahr seinen Abschluss, sodass Curtis nachrückte und Laurence hatte sich im Laufe des Schuljahres im Vergleich zu einem vorherigen Repräsentanten als besserer Kandidat herausgestellt – eine Entscheidung, die unser Lehrer womöglich mittlerweile bereute.

Im Repräsentanten-Saal gab es außerdem einen Tisch mit einer Kaffeemaschine und der obligatorischen Teeauswahl – ein Luxus, den hier sonst niemand hatte. Ansonsten lagerte unsere Fechtausrüstung in einem Sideboard und auch die Waffenschränke befanden sich hier. Darin wurden die Degen und die Pfeile aufbewahrt. Nur Mister Douglas und der Schulleiter Mister MacLeod hatten einen Schlüssel für den Schrank. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer unser Lehrer hier auftauchen würde.

»Ey, da seid ihr ja endlich!«, tönte Reggie und nahm einen Schluck aus seiner riesigen Tasse, die er überall hin mitschleppte. Er war so etwas wie unser inoffizieller Anführer. Niemand hatte ihn dazu erklärt. Es hatte sich ergeben, dass er diese Rolle übernahm und keiner von uns protestierte dagegen.

»Wir dachten schon, ihr hättet verschlafen«, fügte Curtis hinzu, der am Waffenschrank lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Und wir haben Wetten abgeschlossen, wann ihr auftaucht.« Das war Laurence, der sich mühsam aufsetzte, um seinen Vorredner anzusehen. »Du schuldest mir zehn Pfund, Curtis.«

Ich warf Rory einen Seitenblick zu, doch der ignorierte mich gekonnt. Er war längst bekannt für seine Unpünktlichkeit und es störte ihn überhaupt nicht. Schließlich hatte er mit seinem ADHS die perfekte Erklärung dafür.

»An mir lag es nicht«, meinte ich achselzuckend und Rory machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Passt doch alles noch«, meinte er und sah Laurence dabei zu, wie er sich ein isotonisches Getränk aus dem kleinen Kühlschrank holte, in dem wir ein paar Snacks und Getränke lagern konnten. »Hast du dich etwa schon verausgabt, Laurence?«, neckte Reggie ihn.

»Quatsch! Ich sammle meine Kraft für den großen Auftritt.«

»Dann beeil dich lieber mit dem Sammeln«, meinte Curtis. »Unsere Lehrer sind garantiert gleich hier.«

Reggie stellte seine Tasse zur Seite und blickte finster drein. Er schien kurz abzuwägen, ob es sich lohnte, eine Diskussion anzufangen, dann holte er eine Fechtmaske aus dem Sideboard. »Na, dann machen wir mal, was Curtis sagt.« Im nächsten Moment warf er sie mir zu. »Wärmt euch auf!«

Instinktiv fing ich die Maske auf, warf sie aber sofort wieder zurück. »Wärm dich doch selber auf. Du stehst hier auch nur faul rum.«

»Einer muss ja den Überblick behalten.«

»Weil es auch so wahnsinnig viel zu organisieren gibt«, meinte ich sarkastisch und bekam das Teil schon wieder fast an den Kopf geworfen.

»Wir müssen uns für unser Team einsetzen«, sagte Curtis pathetisch. »Sonst können wir auch gleich aufgeben.«

»Ja ja, du Musterschüler«, meckerte Rory und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Was sollte es bringen, sich jetzt schon gegenseitig zu stressen?

»Könntet ihr eure Wut vielleicht an den Gegnern rauslassen?«, murrte ich.

»Das sagt der Richtige. Wer hat denn letztes Jahr …« Weiter kam Rory nicht, denn er wurde von der scharfen Stimme unseres Schulleiters unterbrochen: »Na, na, na, meine Herrschaften.« Als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass er von Mister Douglas und Mister Cameron flankiert wurde. Die beiden Lehrer waren unsere Trainer im Fechten und berittenen Bogenschießen. »Heute wird nicht diskutiert! Ihr solltet eure Kräfte lieber für Wichtigeres aufsparen.«

Laurence grummelte etwas Unverständliches und erstickte die Laute in seinem Getränk.

»Habt ihr alle gut geschlafen?«, fragte Mister Douglas versöhnlicher, obwohl offensichtlich war, dass er keine Antwort erwartete. »Ihr wisst, dass es heute ernst wird. Bitte sorgt dafür, dass ihr in einer Stunde umgezogen und aufgewärmt im Fechtsaal bereitsteht. Clydesdale Castle wird dann ebenfalls kommen. Ich hoffe, dass ihr heute alle fair spielt und euch nicht von euren Gegnern irritieren lasst. Konzentration ist das aller wichtigste, damit wir den Sieg davontragen können. Wir haben ausgiebig trainiert und ich weiß, dass ihr sie schlagen könnt.«

»Ob Bogen oder Degen – Heaven’s Hill wird stets obsiegen!« Unsere Antwort erklang wie aus einem Mund und erfüllte den ganzen Raum.

Mit einem zufriedenen Lächeln zogen die Lehrer sich zurück.


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