
„Wohin gehen wir?“, fragte Hanna, als sie nach getaner Arbeit das
Grundstück verließen.
„Lass dich überraschen. Ich hoffe, du kennst den Weg noch nicht, den ich
geplant habe.“
„Es wird mir schwerfallen, mich in Geduld zu üben.“
Sie schlenderten
quer durch das Wäldchen, wo der Weg in einen der typischen Bohlenwege überging.
„Wir gehen noch zum Strand?“, mutmaßte Hanna sofort. „Fantastisch. Diesen Weg
kenne ich tatsächlich noch nicht.“ Eigentlich war ihr klar, dass er durch die Dünenkette
führte, aber damit, dass sie ziemlich schnell eine Aussichtsplattform
erreichten, hatte sie nicht gerechnet. „Diese Dünenlandschaft strahlt so viel
Ruhe aus, ich finde es wunderbar, über die Bohlenwege zu wandern.“
„Manche Menschen
nervt es, wenn sie nicht sofort am Strand stehen“, gab Finn zu bedenken.
„Dann sind sie
hier verkehrt, denn genau das macht doch den Charme dieser Insel aus.“ Hanna
breitete die Arme aus, drehte sich einmal um ihre eigene Achse und strahlte
Finn an. „Ich finde es wundervoll hier und kann mir wirklich vorstellen, für
immer hier zu leben.“ Ups, sie hatte sich doch vorgenommen, das Thema heute
Abend nicht anzusprechen, um Finn nicht noch mehr unter Druck zu setzen. Sie
wagte einen Blick zu ihm, konnte seinen Gesichtsausdruck jedoch nicht deuten, da sie nur sein Profil sah.
Aber da sie sich allgemein geäußert und das Haus im Speziellen nicht erwähnt
hatte, beruhigte sie das recht schnell. „Wie weit ist es bis zum Kniep? Ach,
das spielt gar keine Rolle. Der Weg ist das Ziel, aber der Kniep natürlich
auch. Hach, was für ein schöner Abend. Danke, dass du ihn mit mir verbringen
willst und dass du mich schon wieder zum Essen eingeladen hast. Und das, wo ich
dich vorher so mit dem Haus genervt habe.“ Schon wieder. Warum konnte sie nicht
ihre Klappe halten? Wenn sie weiterhin so unkontrollierte Äußerungen von sich
gab, ruinierte sie den Abend noch. Und das wollte sie auf keinen Fall.
„Hanna?“
„Ja?“
„Halt den Mund. Bitte.“
„Ähm … gut.“ Der Abend war ruiniert und sie war schuld daran.
„Genieße lieber
unseren Spaziergang. Das geht am besten, wenn man still ist. Denn dann kannst
du das Rufen der Fasane hören, die hier immer wieder unterwegs sind. Das
Schnattern der Brandgänse, die in den Dünen brüten, und natürlich die Möwen.
Wenn alles ruhig ist und der Wind günstig steht, hörst du das Meer.“
„Hast ja recht.
Bin schon still.“ Sie atmete erleichtert durch. Finn schien doch nicht so sauer
zu sein, wie sie befürchtet hatte, und sie war ihm für seine Erklärungen
dankbar. „Du bist ein Naturmensch, oder?“, flüsterte sie.
„Du kannst es nicht, habe ich recht?“
„Was?“
„Still sein.“
Das war der
Moment, in dem Hanna schluckte und sich schwor, die nächsten Minuten,
mindestens, bis sie den Kniep erreichten, nichts mehr zu sagen. Stattdessen sah
sie nach rechts und links auf der Suche nach einem Fasan. Doch es war gar nicht
so leicht, zwischen dem Dünengras, der Heide und allen anderen Pflanzen, die
hier wuchsen und von denen sie keine Ahnung hatte, was das war, etwas zu
entdecken. Schließlich gab sie es auf und genoss den Spaziergang mit Finn nur
noch. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie auf eine weitere
Aussichtsplattform stoßen würden.
„Was für eine
Aussicht“, flüsterte sie mehr zu sich selbst, als sie oben stand. Sie zog ihr
Handy aus der Jackentasche, knipste nach allen Seiten und nahm anschließend
noch ein 360-Grad-Video auf. Dass sie dabei auch Finn filmte, verschwieg sie
und wusste jetzt schon, dass sie sich das Video immer wieder ansehen würde und
das nicht nur wegen der fantastischen Aussicht. Ihr Herz klopfte schneller, als
sich Finn dicht neben sie stellte und einen Arm um ihre Schultern legte. Sie
hielt den Atem an, genoss die Nähe und hoffte, dass dieser Augenblick nie
vergehen möge. Sie rührten sich beide nicht. Was wohl gerade in Finn vor sich
ging? War das eine rein freundschaftliche Umarmung oder mehr? Noch während sie
sich das fragte, drehte sie ihren Kopf zu ihm. Im gleichen Augenblick sah Finn
sie an. Ihre Blicke hielten einander fest und Hanna spürte wieder dieses
merkwürdige Kribbeln in ihrem Bauch. Gerade so, als drehten unzählige
Schmetterlinge tief in ihrem Innern Saltos. Langsam kam sein Gesicht näher,
gleichzeitig hob sie ihres an. Als sich ihre Lippen zart berührten, schloss sie
die Augen und schob ihre Arme um Finns Körper. Im Nu war dieser Moment vorbei
und doch löste dieser erste scheue Kuss ein Wirrwarr an Gefühlen in ihr aus.
Finn zog sie noch näher an sich und sie legte ihren Kopf gegen seinen
Oberkörper. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Ob er ahnte, dass sie es spürte?
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