Es war wie
verhext. Während Felicitas versuchte, sich auf den Text zu konzentrieren,
schweiften ihre Gedanken immer wieder ab zu dem Mann, bei dem sie die
vergangene Stunde verbracht hatte. Viktor Gabriel hatte ihre Sinne vollkommen
durcheinandergewirbelt.
»Was ist los?«,
fragte Florian, der ihr gegenübersaß und sie beobachtete.
Felicitas schrak
auf. »Was, wieso?«
»Du bist so
abwesend.«
»Du spinnst.«
Gerade hatte sie daran denken müssen, wie sie diesem Bildhauer jedes Wort aus
der Nase hatte ziehen müssen. Bevor er sich dazu herabgelassen hatte, ihr
ziemlich knapp auf ihre Fragen zu antworten, hatte er sie abschätzend mit
hochgezogener Augenbraue begutachtet und der Ausdruck seiner Augen hatte sich
verändert. Diesen Blick konnte sie nicht vergessen. Sie ärgerte sich, weil sie
nicht einmal sagen konnte, ob sie diesen Ausdruck in seinen Augen als eher
unangenehm oder als ein kleines bisschen angenehm empfunden hatte. Als sie sich
von ihm verabschiedet hatte, hatte er sie noch einmal so komisch angesehen.
Mit äußerster
Konzentration versuchte sie, den Bericht zu tippen. Mist! Sie hatte vergessen,
ihn wegen der Sonnenuhr zu fragen. Dabei war es wichtig, zu erfahren, ob er
außer mit Sandstein auch mit anderen Materialien arbeitete. Es könnte natürlich
auch sein, dass er die Sonnenuhr gekauft oder geschenkt bekommen hatte.
Felicitas griff zum Telefon und zog gleich darauf ihre Hand zurück. Nach seiner
Telefonnummer hatte sie ihn auch nicht gefragt. So etwas war ihr noch nie
passiert. Also würde sie noch ein drittes Mal zu ihm fahren müssen, möglichst
sofort, denn der Artikel sollte umgehend erscheinen.
Wie würde er
reagieren, wenn die nervige Tante von der Presse schon wieder auftauchte?
Felicitas atmete tief durch, stieg aus dem Wagen und straffte ihre Schultern.
»Auf in den
Kampf«, murmelte sie vor sich hin.
Sie traf Viktor
Gabriel auf dem Hof nicht an. Der Steinblock, an dem er gearbeitet hatte, war
mit einer Plane abgedeckt. Wahrscheinlich wegen des angekündigten Regens,
vermutete Felicitas und wandte sich dem Haus zu. Die Eingangstür stand offen.
Sie klingelte. »Herr Gabriel, sind Sie da?«, rief sie.
Keinerlei
Reaktion. Vielleicht fand sie ihn hinter dem Haus. Doch auch dort konnte sie
ihn nicht entdecken. Sollte aus einer zügigen Veröffentlichung des Artikels
doch nichts werden? Alternativ könnte sie auf die zusätzliche Information
verzichten, doch das wollte sie ungern tun. Noch einmal versuchte sie ihr Glück
beim Haus. Wieder keine Reaktion auf ihr Rufen. Doch sie war für ihre
Hartnäckigkeit bekannt und wollte immer noch nicht aufgeben. Vorsichtig trat
sie durch den Eingang.
»Hallo! Herr
Gabriel! Sind Sie da?«
Vollkommene
Stille. Also schon wieder Pech gehabt. In dieser Reportage steckte wirklich der
Wurm drin. Schulterzuckend machte sie kehrt und wollte die Tür gerade hinter
sich schließen, als sie ein Geräusch im Innern des Hauses innehalten ließ. Das
hörte sich doch an wie das Tapsen nackter Füße auf dem Fußboden. Er war also
doch da.
Schon tauchte er
vor Felicitas auf.
Das war
doch … Felicitas schnappte nach Luft.
Er kam den Flur
entlang, den Kopf gebeugt und rubbelte sich mit einem Handtuch sein Haar
trocken. Da ihm ein Zipfel des Handtuchs vor dem Gesicht hing, schien er sie
nicht zu bemerken. Ohne aufzusehen, schlenderte er zum Tisch in der Küche, die
sich neben dem Eingangsbereich befand. Dort nahm er eine Flasche Mineralwasser
vom Tisch und setzte sie an seine Lippen. Mit einer Mischung aus Faszination
und Panik starrte Felicitas ihn an und biss sich auf die Lippen.
Da stand er, in
Gedanken versunken – und nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte.
Höchste Zeit zu
verschwinden. Rückwärts, den Blick weiterhin auf ihn gerichtet, schlich sie auf
Zehenspitzen zur Haustür. Hoffentlich bemerkte er sie nicht. Doch prompt
knarrte eine Diele unter ihren Füßen und er drehte sich zu ihr um.
Die Überraschung
war ihm anzusehen.
»Entschuldigung«,
stammelte Felicitas und spürte die Hitze, die ihr ins Gesicht schoss. »Ich
wollte Sie nicht erschrecken. Ich habe mehrmals gerufen und geklingelt habe ich
auch. Ehrlich.«
»Soso.« Betont
lässig schlang er sich das Handtuch, mit dem er sich eben die Haare frottiert
hatte, um die Hüften. Ebenfalls betont lässig kam er auf sie zu.
Felicitas
schluckte trocken. »Ich … ich komme lieber ein anderes Mal wieder.«
»Warum? Kommen
Sie doch herein. Möchten Sie etwas trinken?«
Die Knie
zitterten ihr, als er einfach nach ihrem Arm griff und sie in die Küche zog.
Felicitas’ Blick blieb an seiner braun gebrannten Brust hängen. Was für ein
Körper!
»Was führt Sie zu
mir?«, fragte er.
»Ja also …
ich habe da noch ein paar Fragen.«
»Okay, aber
zuerst trinken wir etwas. Es ist mächtig heiß heute.«
Das kann man
wohl sagen.
Er schlenderte
zum Kühlschrank und nahm eine neue Flasche Mineralwasser heraus.
Felicitas konnte
den Blick nicht von ihm und von dem Spiel seiner Muskeln wenden, als er die
Flasche öffnete. Wie sollte sie ihm jemals vernünftige Fragen stellen können,
wenn er so gut wie nackt vor ihr stand? Wie sollte sie jemals einen
informativen und objektiven Text über ihn zustande bringen, wenn sie ständig
seinen knackigen Körper vor Augen haben würde? Den würde sie vor Augen haben,
das ahnte sie jetzt schon.
Mit dem gefüllten
Glas kam Viktor Gabriel auf Felicitas zu. Dicht vor ihr blieb er stehen. Sie
nahm das Glas und trank es hektisch aus. Währenddessen beobachtete er sie und
sein Blick trug nicht gerade dazu bei, dass sie ruhiger wurde. Plötzlich hob er
seine Hand und befühlte vorsichtig die Stelle an der Stirn, wo Felicitas der
Splitter getroffen hatte.
»Wie ist das
passiert? Das sollte versorgt werden.«
»Kaum der Rede
wert«, wisperte sie.
»Keine
Widerrede.« Er bugsierte Felicitas zum nächsten Stuhl. »Setzen Sie sich. Ich
hole Verbandsmaterial.«
Wie in Trance
nahm sie Platz und kaum eine Minute später verarztete Viktor sie. Die Wunde
brannte, als er ein Desinfektionsmittel auftrug und sie konnte ein Stöhnen
nicht unterdrücken.
»Ist gleich
vorbei«, murmelte er.
Er war so
fürsorglich und seine Berührungen so sanft. Kaum zu glauben, dass er der
gleiche Mann war, der bei ihrem ersten Zusammentreffen so zurückhaltend und
wortkarg gewesen war.
»Vielen Dank.«
Mit einem
Lächeln, das ihr durch und durch ging, zog Viktor sie vom Stuhl. »Dafür habe
ich eine Belohnung verdient, oder?«
»Okay, ich werde
einen besonders netten Bericht über Sie schreiben.« Sie bedachte ihn mit einem
herausfordernden Blick.
»Das würden Sie
sowieso tun.« Mit seinem Zeigefinger zeichnete er die Form ihrer Lippen nach
und diese Berührung fand Felicitas äußerst erregend. Sie konnte ihren Blick
nicht von ihm wenden. Die Farbe seiner Augen erinnerte sie an die klaren
Bergseen, an denen sie in ihrer Kindheit mit ihren Eltern und ihrem Bruder
Urlaub gemacht hatte, und sie verlor sich darin. Es erschien ihr wie Stunden,
in denen sie nur dastanden und sich ansahen. Dann endlich kamen seine Lippen
näher und mit einem Seufzer zog er sie an sich und küsste sie auf das Haar.
Ihr Gesicht lag
nun an seiner nackten Brust. Sein Herz klopfte heftig und sein Brustkorb hob
und senkte sich schnell. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine kleine Narbe
oberhalb seiner rechten Brustwarze. Eine Verletzung, die während seiner Arbeit
entstanden war? Fast war sie versucht, ihre Lippen darauf zu drücken. Sie
konnte sich nur schwer beherrschen und biss sich auf die Unterlippe. Verwirrt
hob sie den Kopf.
Viktor sah zu ihr
herab. Seine Augen erschienen ihr jetzt um einige Nuancen dunkler. Mit beiden
Händen griff er in ihr Haar und schob ihre widerspenstigen Locken zurück. Er
beugte sich zu ihr herab. Sein Gesicht kam immer näher, und als sein Mund
endlich den ihren berührte, schloss sie mit einem kleinen Seufzer die Augen.
Seine Lippen waren heiß und fest und, als seine Zunge Einlass forderte, konnte
sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Ihr Herz raste und das Blut pulsierte
in ihren Schläfen. Niemals zuvor hatte der Kuss eines Mannes derartige Gefühle
in ihr ausgelöst.
Plötzlich und
unvermittelt ließ Viktor von ihr ab und schob sie zurück. Seine Augenbrauen
zogen sich zusammen und dazwischen entstand eine tiefe Kerbe, die von seiner
Nasenwurzel aus zur Stirn verlief. Mit diesem verkniffenen Ausdruck im Gesicht
wandte er sich ab. Schwer atmend stützte er sich mit gesenktem Kopf am
Küchentisch ab.
Felicitas
zitterte noch vor Erregung. Was hatte dieser abrupte Stimmungswandel zu
bedeuten?
»Viktor?«
»Du solltest
besser gehen.«
»Warum?«
»Geh … jetzt
sofort.«
»Aber …«
Als sie sah, wie
Viktor den Kopf schüttelte, wurde ihr klar, dass er bereute, was da gerade
zwischen ihnen geschehen war.
Tränen brannten
ihr in den Augen, als sie sich hastig abwandte und ohne ein weiteres Wort das
Haus verließ. Zweimal stolperte sie auf dem unebenen Weg, während sie
tränenblind zu ihrem Auto rannte. Mit zitternden Fingern schloss sie die
Autotür auf und ließ sich hinters Steuer sinken. Eine Weile blieb sie so
sitzen, den Kopf auf das Lenkrad gelegt. Wie konnte sie nur so blöd sein! Noch
einmal hier unangemeldet aufzukreuzen, nur wegen dieses dämlichen Artikels.
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