Donnerstag, 27. Juni 2024

[Schnipseltime] Legenden aus der Zeit vor der Zeit von Martin Haak

  

 

Der Assassine wartete in dem vereinbarten Haus auf seine beiden Spießgesellen. Für diesen Auftrag brauchte er einen bestimmten Schlag Mann. Verwegen. Ohne Angst. Ein bisschen verrückt.

Er konnte es immer noch kaum fassen, was der Seneschall ihm aufgetragen hatte. Aber die Entlohnung war ebenso unglaublich. Einhundert Goldtaler im Voraus. Weitere Fünfhundert bei Lieferung.

Diese Menge Gold erhob einen Bettler in den Stand eines Fürsten. Wenn die Mission gelänge, dann würden sich die Lebensumstände aller Beteiligten grundlegend ändern. Der Assassine könnte seinem Beruf den Rücken kehren und ein eigenes Handelsimperium aus Gaststätten und Freudenhäusern gründen. Schon jetzt war seine gesamte Gilde in diesen Geschäftsfeldern tätig, jedoch nur in den Armenvierteln und den heruntergekommensten Spelunken der Hauptstadt.

Gilde. In Wahrheit waren sie nur eine Bande aus Bettlern und Kleinkriminellen. Er war einer der wenigen, der mehr beisteuerte als ein paar klägliche Silbermünzen, die nur für das Brot auf dem Tisch reichten. Er hätte für sich selbst ein gutes Leben aufbauen können, aber die Familie kam nun einmal zuerst. Eine der wenigen Tugenden, die ihn sein Vater einst lehrte. Vielleicht die einzige.

Er wurde jetzt ungeduldig. Die beiden hätten schon zu Mittag eintreffen sollen, und die Sonne stand schon lange nicht mehr im Zenit. Vielleicht war seine Wahl doch nicht so weise. Verschwiegenheit und Verlässlichkeit. Wichtiger als Waffenkunst und Kraft.

Der Standort des Hauses, in dem er wartete, war den beiden bekannt. Das geheime Zeichen hatte er selbst am Vormittag mit Kreide auf den Türrahmen gezeichnet. Sie konnten es nicht verfehlen. Er gab ihnen noch bis zum Sonnenuntergang, dann würde er von hier verschwinden.

Nach einer Weile hörte er aber, wie sich zwei Personen der Tür näherten. Große Jungs, die aber lautlos gingen. Der Assassine versteckte sich im toten Winkel der Tür und zog behände zwei lange schmale Klingen aus seiner weiten Robe hervor.

Sicher ist sicher.

Der Riegel wurde zurückgeschoben und durch die Tür traten zwei vierschrötige Ratten. Beide groß und hager. Der Assassine erkannte seine Männer sofort am Gang, noch bevor er ihre Gesichter sah.

Der eine hatte ein vernarbtes Gesicht und seine Schwanzspitze fehlte. Er trug ähnliche Kleidung wie der Assassine: weiter, dunkler, grober Stoff. Man nannte ihn „Schnipper“. Innerhalb der Gilde nutzte man Spitznamen, die man, wenn nötig, wieder ablegen konnte. Ein Halsabschneider, wie er im Buche stand. Draufgängerisch. Wortkarg. Beides nützliche Eigenschaften.

Dem anderen fehlte der kleine Finger der linken Hand. Er trug die Kleidung der lokalen Torfstecher. Eine weite, knielange Tunika aus braunem Leinen. Eine dunkle, knielange Hose. Eine dunkelgraue Haube, die vor Nässe und lästigen Insekten schützte. „Zweier“ nannte man ihn. Er konnte gleichzeitig zwei Dolche mit tödlicher Zielsicherheit werfen. Geschickt und obendrein ein schlauer Kerl, der im Voraus dachte.

„Wurde auch Zeit.“ Die Stimme des Assassinen war ein düsteres, ärgerliches Hauchen.

Die beiden fuhren herum, Klingen in den Händen.

„Das Boot von Dreistädten legte später ab und wir hielten es für klug, nicht auf Eile zu drängen. Wäre nicht so schlau, wenn zwei abgerissene Ratten von wichtigen Terminen in Badersweil sprechen, die unnötig Aufmerksamkeit erregen“, antwortete Zweier. Schnipper starrte den Assassinen nur düster an.

„Wenn ich eure Lebensgeschichte hören will, lasse ich euch das wissen. Bis dahin, haltet euch an unsere Absprachen!“, knurrte der Assassine.

„Schon gut, Boss. Wir hatten halt keinen Einfluss auf den Fahrplan.“ Zweier steckte seine Messer weg und hob beschwichtigend die Handflächen nach vorne.

 „Aber nun sind wir hier. Also, um was geht es, Grinser?“, fragte Zweier den Assassinen. Grinser. Sein eigener Spitzname. Er wurde so genannt, weil er nie lächelte.

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