Wenig später
steigen sie in einen verbeulten, roten Fiat Panda älteren Datums, der in einer
Seitengasse unweit der Krankenhauszufahrt parkt. Richie begrüßt den Fahrer mit
einem lässigen Handschlag und setzt sich auf die Rückbank, während Hans auf dem
Beifahrersitz Platz nimmt und dem jungen Mann neben ihm, den er auf Mitte
zwanzig schätzt, freundlich zunickt. Aus den für dieses kleine Auto
überdimensionierten Lautsprechern ertönt abendländische Musik, zu der der
Fahrer, der sich Hans wohlerzogen mit „Ümit“ vorgestellt hat, dem Rhythmus
entsprechend seinen Oberkörper bewegt. Mit einer Zigarette in der rechten Hand
lenkt er das Fahrzeug durch das Villenviertel, das Glacis entlang ins ehemalige
Scherbenviertel, das seit dem Kulturhauptstadtjahr vor mehr als zehn Jahren
einen unglaublichen Boom erlebt, den hier seit Ewigkeiten vorherrschenden,
verruchten Nachtlokalen zum Trotz. Alternative Künstler und Intellektuelle
haben sich als Kontrapunkt zum Univiertel auf der gegenüberliegenden Flussseite
angesiedelt. Interessante Geschäftsmodelle, kleine Läden, pfiffige Restaurants
und Cafés schießen hier, wohin vor zwanzig Jahren niemand freiwillig seinen Fuß
gesetzt hätte, wie Schwammerln aus dem Boden. Das erklärt den Parkplatzmangel
in dieser Gegend. Egal zu welcher Tageszeit.
Ümit lässt Hans
und Richie auf dem mit Kastanienbäumen bewachsenen Platz, wo vormittags Bauern
Produkte aus der Region anpreisen, aussteigen. Sie schauen Ümits Panda nach und
überqueren die Straße.
An Richies
innerem Auge huschen hastig Bilder von Drogendealern, Prostituierten und
heruntergekommenen Typen vorbei, von denen er selbst einer zu sein scheint. Er
fühlt sich mit einem Schlag in die Vergangenheit zurückkatapultiert. Er glaubt
die Stimmen alter Bekannter zu vernehmen, die nach ihm rufen, fragen, ob er
Stoff habe oder welchen brauche. Seit zwei Jahren ist er aus Furcht vor der
unvermeidlichen Erinnerung nicht in dieser Gegend gewesen, die jahrelang sein
albtraumhaftes Zuhause war. Hastig fokussiert Richie seinen Blick auf das
Jetzt. Hans hat sich bei ihm eingehängt und er spürt seine Körperwärme und
seinen schweren Atem. Für seine Gegenwart ist er ihm in diesem Moment
unbeschreiblich dankbar. Er lässt sich seine momentanen Qualen nicht anmerken,
denn für Hans soll es ein unvergesslicher Abend werden. Nur das zählt.
Irgendwann wird auch seine Erinnerung verblassen, hofft Richie.
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