Im Zeichen der Lämmer
XXL-Textschnipsel
Allmählich kam Madison zu sich. Sie öffnete die Augen, konnte
jedoch nichts sehen. Es war stockdunkel.
Wo war sie und
wie kam sie hierher?
Sie versuchte
sich zu erinnern. Das Letzte, das ihr einfiel, war, dass sie von der Klinik
nach Hause fuhr und danach ins Haus gehen wollte. Plötzlich schob sich der Lieferwagen in ihr Gedächtnis. Ach
ja, richtig. Und dieser Kerl, warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen?
Halt! Da war noch etwas. Das schwere Ding, diese Kommode. Er wollte …,
aber wieso …? Er musste sie betäubt und entführt haben. Dieser Mistkerl, na warte.
Sie wollte
aufspringen, konnte sich aber keinen Zentimeter von der Stelle bewegen. Erst
jetzt wurde ihr bewusst, dass sie festgebunden war und schrecklich fror. Der
Raum war eisig und unter sich spürte sie blankes
Metall. Sie fühlte es am ganzen Körper.
O mein Gott, sie
war nackt! Er hatte sie ausgezogen, mit seinen widerlichen Fingern berührt. Madison zitterte augenblicklich. Ob aus Entsetzen
oder vor Kälte, sie wusste es nicht. Gleichzeitig begriff sie, dass er sie
nicht nur festgebunden, sondern komplett fixiert hatte. Ihre Oberschenkel und
Fußgelenke waren an das kalte Metall mit Riemen geschnallt, ebenso jedes ihrer
Handgelenke, ihr Becken, der Oberkörper, die Stirn. Was hatte dieser kranke Typ
vor? Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf und die Gewissheit traf sie wie ein
Fausthieb. Er wollte sie vergewaltigen, er stellte ihr immer noch nach.
Angst kroch
durch ihre Glieder. Vor ihren Augen begann sich alles zu drehen und ihr wurde übel. Wenn sie sich jetzt übergeben würde, müsste sie
zweifellos daran ersticken. Panik stieg in ihr auf. Sie atmete viel zu hektisch
und in kurzen Stößen.
Stopp! Reiß dich zusammen, Maddi!
Sie musste sich
dringend beruhigen und ihre Übelkeit in den
Griff bekommen. Sie schloss die Augen. Dann zwang sie sich, ruhig zu atmen und
an nichts zu denken.
Gut, konzentrier dich. Langsam in den Bauch einatmen. Dabei zählte sie: Eins, zwei, drei
– Luft anhalten – und jetzt lang und tief ausatmen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Noch
mal.
Nach einer Weile
verschwand der aufsteigende Würgereiz und sie
hatte ihre Angst unter Kontrolle. Sie war wieder einigermaßen in der Lage, klar
zu denken. Okay, und nun
benutze deinen Verstand. Sie musste hier schnellstens raus. Vielleicht ließen sich die Riemen ein wenig lockern.
Madison drehte
ihre Hände und Fußgelenke hin und her. Die einzigen Gliedmaßen,
zu denen sie überhaupt fähig war, sie zu bewegen. Kurze Zeit später brannte ihre
Haut wie Feuer, doch ihre Fesseln saßen nach wie vor straff. Erneut spürte sie
das panische Kribbeln in ihrer Brust. Sie schluchzte verzweifelt und wurde
hysterisch. Mit ganzer Kraft zerrte sie weiter an den Riemen, aber es war
aussichtslos. Sie saß in der Falle. Jetzt konnte sie nur abwarten, dass ihr
Peiniger kam, und alles über sich ergehen lassen.
Ich werde dich anzeigen, du mieses Schwein. »Wo bist du!«, rief sie. »Komm endlich her und zeig
dich!«
Die letzten
Worte kreischte sie wütend. Nichts
geschah. Keine Schritte, die sich näherten. Keine Tür, die sich öffnete. Kein
Licht. Diese Dunkelheit um sie herum und nicht zu wissen, wo sie war, brachte
Madison fast um den Verstand. Das Einzige, das sie wahrnahm, war ihr eigener
Herzschlag.
Quälende Minuten vergingen. Mit einem Mal hörte sie ein
Geräusch auf dem Boden und erstarrte. Es war unmittelbar neben ihr. Ein
Scharren oder Schleifen, vielleicht eine Ratte? O Gott, sie hatte so
schreckliche Angst vor Ratten und konnte sich nicht einmal bewegen. Bei dem Gedanken
daran fing sie an zu kichern. Das alles war so bizarr. Sie befand sich in einer
ausweglosen Situation und machte sich Sorgen wegen einer Ratte. Wie lächerlich.
Plötzlich hörte sie, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde.
Gleich darauf flammte gleißendes weißes Deckenlicht auf. Es blendete. Der
stechende Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Sofort kniff sie sie fest
zu.
Dieser
Dreckskerl hatte die ganze Zeit neben ihr auf einem Stuhl gesessen und
gewartet.
Sekunden später hatte sie sich noch immer nicht daran gewöhnt, doch
sie registrierte, dass sie auf einer Art Metalltisch lag. Nur blinzelnd konnte
sie etwas erkennen.
»Was soll das, warum bin ich hier? Binde mich los!«
Er stand neben
ihr, setzte das Nachtsichtgerät ab und
starrte teilnahmslos auf sie hinab. Aus dem Augenwinkel konnte Madison ihn kaum
ausmachen. Sie musste ihre Augen verrenken, um wenigstens etwas von ihm sehen
zu können. Sie versuchte ihren Kopf zu drehen. Keine Chance, der Riemen lag
fest wie ein Schraubstock um ihre Stirn.
»Antworte mir, verdammt!«
Keine Regung. So
hatte Madison ihn noch nie erlebt. Er wurde ihr immer unheimlicher. Wollte er
sich vielleicht an ihr rächen? Ein
einziges Mal hatte sie sich mit anderen Mädels über ihn lustig gemacht.
Dummerweise hatte er das mitbekommen. Aber das war doch noch lange kein Grund
für das Ganze hier.
Gänsehaut überzog ihren Körper und unwillkürlich schlugen
ihre Zähne aufeinander. Es gab nur eine Möglichkeit, sie musste weiterreden und
ihn irgendwie dazu bringen, sie loszubinden. Ihre Angst durfte auf keinen Fall
die Oberhand gewinnen.
»Vielleicht reden wir einfach in Ruhe miteinander und
fangen noch mal von vorn an. Jetzt binde mich schon los!«
Das hatte
gewirkt. Er ging zu ihren Füßen und
entfernte die Riemen. Danach wandte er sich von ihr ab und ging.
Madison war
irritiert. War das ein Spiel? Wollte er, dass sie den Rest selbst schaffte?
Jetzt hatte sie zwar ihre Füße frei, konnte
sich aber noch immer keinen Zentimeter bewegen.
»Hey, binde mir wenigstens die Hände los.«
Keine Antwort.
War er noch hier? Sie hatte ihn nicht hinausgehen hören und war sich nicht sicher. Sie wollte nachsehen,
aber dieser verflixte Riemen um ihre Stirn hinderte sie daran und zwang sie,
weiter an die Decke zu starren.
Der Raum war
hoch, die Wände weiß gekachelt
und über ihr flackerte das grässliche Neonlicht. Was war das für ein Ort? Ein
Waschhaus, ein Labor, ein Schlachthaus? Bei dem letzten Gedanken überzog sich
ihr Körper erneut mit einer Gänsehaut. Bitte, lass das
alles nur ein schlechter Traum sein.
Madison vernahm
das Schlurfen seiner Schuhe auf dem Boden. Er war noch immer hier. Die Schritte
kamen näher, dann tauchte er am Fußende des Tisches auf, auf dem
sie lag. Nackt, hilflos und ihm völlig ausgeliefert. Würde er sie jetzt
losbinden? Das musste er, wenn er sie vergewaltigen wollte, zumindest ihre
Beine. Sie nahm sich vor, sein Spiel mitzuspielen, und wollte versuchen, ihn um
den Finger zu wickeln, so lange, bis er sie endlich losband. Danach, dann gnade
ihm Gott.
Er hielt zwei
breite Manschetten in der Hand und starrte Madison an, beinah zärtlich. Tat ihm womöglich leid, was er ihr da antat? Nur
ein kurzer Augenblick und seine Mimik versteinerte wieder. Nun legte er eine
der beiden Manschetten um ihren rechten Oberschenkel, die andere um den linken.
Beide zurrte er fest.
»Was tust du da? Das tut extrem weh, das ist zu straff.«
Er zog sie noch
fester, bis Madison das Gefühl hatte, ihre
Beine würden platzen. Anschließend rollte er einen metallenen Wagen zu sich
heran. Von ihrer Position aus konnte sie nicht erkennen, was darauf lag. Er
nahm einen Gegenstand in seine Hand und hob ihn hoch. Ungläubig sah sie, wie er
eine Spritze aufzog.
Sie zitterte
schlagartig, nur dieses Mal nicht vor Kälte, sondern
aus Furcht. Entsetzt öffnete sie den Mund.
»Was hast du vor?«, keuchte sie. »Bitte, tu das nicht.
Lass uns doch über alles reden.«
Sekunden darauf
spürte sie einen Stich im linken Oberschenkel. Dasselbe
machte er mit dem rechten. Er injizierte ihr irgendetwas. Danach schaute er auf
die Uhr und ließ sie allein.
Madison hörte, wie er die Treppe hinaufstieg. Die Tür fiel ins
Schloss. Diesmal hatte er den Raum tatsächlich verlassen. Sofort versuchte sie
sich zu befreien. Mit den Händen konnte sie keinen der Gurte erreichen, sie
waren ihr dabei keine Hilfe. Mit leichten Hüftbewegungen versuchte sie im
Wechsel die Beine lang zu machen und mit den Füßen zu strampeln. Mit etwas
Glück würde der Riemen um ihre Oberschenkel ein Stück nach oben rutschen. Dann
könnte sie immerhin ihre Beine bewegen und vielleicht irgendwie an ein Messer
herankommen. Doch ihre Gliedmaßen wurden mit jeder Minute schwerer. Dann verlor
sie die Kontrolle über ihre Beine. Sie wurden taub. Madison spürte sie nicht
mehr. Was hatte er ihr da bloß gespritzt und vor allem warum?
Im nächsten Augenblick hörte sie die Tür. Das regelmäßige
Klacken verriet ihr, dass er in diesem Moment die Treppe herunterkam.
O nein! Er kommt zurück!
Ihr Herz raste.
Was sollte sie jetzt tun, ihn anbetteln?
»Bitte, binde mich los. Ich werde niemandem davon
erzählen. Ich schwöre es dir.« Ihre Stimme bebte vor Angst. »Was habe ich dir
getan? Du magst mich doch und ich mag dich auch«, versuchte sie es verzweifelt.
»Sehr sogar. Bitte!«
Er sah Madison
an und überlegte. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich
hastig ab.
»Nein, nein, nein.«
Dabei kramte er
auf dem Metallwagen und nuschelte unablässig einen
Singsang vor sich hin. Es klang wie ein Kinderreim, aber Madison verstand davon
kein Wort. Redete er mit ihr oder mit sich selbst?
»Bitte – was ist mit dir? Vielleicht kann ich dir
helfen?«
Er drehte sich
um und kam mit einer Rolle Klebeband auf sie zu.
»Ich spüre meine Beine nicht mehr. Was hast du mit mir
gemacht?«
»Psst!« Er legte den Zeigefinger an seine Lippen.
Madison liefen
Tränen aus den Augenwinkeln. Sie versuchte zu erfassen, was
gerade mit ihr geschah. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Doch es
war kein Traum, das hier war real und passierte tatsächlich ihr.
Stumm sah sie
zu, wie er ein Stück von der
Rolle abtrennte. Beinah behutsam legte er es auf ihren Mund und strich es mit
sanftem Druck fest. Danach hörte sie, wie er Richtung Treppe ging.
An der Wand
neben dem riesigen Waschtrog hingen eine Gummischürze und eine Schutzbrille, doch das lag nicht in ihrem
Sichtbereich. Er nahm beides vom Haken, zog es über und kam mit einem Eimer in
der Hand zurück zum Fußende des Tisches.
Ein kreischendes
Gerät heulte auf. Madison zuckte zusammen. Der Ton jagte ihr
einen Schauer über den Körper. Vor Angst kniff sie die Augen zu und stöhnte
unter dem Klebeband. Sie konnte nicht sehen, was er tat. Im Moment bückte er
sich und sie sah nur seinen Schopf. Selbst wenn er aufrecht stand, reichte ihr
Blickwinkel gerade mal bis zu seiner Brust.
Nun hörte sie etwas dumpf poltern. Und noch einmal. Das
Kreischen verstummte. Es plätscherte. Wasser? Was hatte er bloß vor. Sie musste
ihn davon abbringen, bloß wie, wenn sie nicht einmal mehr sprechen konnte.
Sie öffnete die Augen. Ihr Blick wanderte zurück zu ihm.
Soweit sie erkennen konnte, war seine Schürze mit roten Spritzern übersät.
Hatte er sich verletzt? Er bückte sich erneut. Als er sich wieder aufrichtete,
hielt er einen blutverschmierten Fuß in der Hand.
Sie schrie wie
von Sinnen unter dem Klebeband. Sie wollte das nicht sehen, konnte aber auch
nicht wegschauen. Mit einem Mal wurde ihr klar, der Fuß, die lackierten Zehennägel, das war ihr Fuß. Ihr
eigener Fuß!
Bilder flogen an
ihrem inneren Auge vorbei. Die Spritze, ihre betäubten Beine, das kreischende Geräusch.
Er hat meine Füße abgesägt!
Hysterisch und völlig außer sich kreischte sie erstickt weiter, bis sie
hyperventilierte. Ihre Ohren dröhnten und Sterne tanzten vor ihrem Sichtfeld.
Schwarzer, dicker Nebel waberte in den Raum, bis er sie komplett verschlungen
hatte. Sie wurde ohnmächtig.
Das Blut schoss inzwischen
nicht mehr aus ihren Beinen, sondern tropfte nur noch. Den Eimer würde er so lange stehen lassen, bis es aufhörte. Er
wollte nicht zu viel Sauerei auf dem Boden haben.
Madison rührte sich nicht mehr. Sie lag reglos da, wie eine
wunderschöne Venus. Seine wunderschöne Venus. Er war fast fertig mit ihr.
Gleich würde sie ihn mit glücklichen Augen anlächeln, und das für immer. Er war
ganz euphorisch und sogar ein wenig erregt.
Aber nein. Erst
die Arbeit, dann das Vergnügen. Er nahm
einen Stift und zog auf Madisons beiden Gesichtshälften eine dicke Linie vom
Mundwinkel bis zu ihrem Ohr. Fasziniert betrachtete er sein Werk. Das ist ein bezauberndes Lächeln. Er konnte seinen Blick kaum abwenden. Dennoch griff er
nach dem kleinen Skalpell, das neben der flachen Glasschale mit dem braunen
Augenpaar lag.
Er atmete ein
paarmal tief durch, danach war er völlig
konzentriert. Seine Hände zitterten kein bisschen. Ohne Pause vollendete er
geschickt den Akt seiner Schöpfung.
Super spannender Thriller!
AntwortenLöschenVon Anfang bis Ende kommt keine langeweile auf. Sehr gut geschrieben. Blutig und gruselig wie ein Thriller sein muss. Es ist schwer den Täter zu erraten, was das ganze sehr spannend macht und man möchte das Buch nicht mehr weglegen. Klasse Arbeit! Den ersten Teil "Toxin-Killer" kann ich ebenfalls sehr empfehlen. Durch das lesen des ersten Teils stellt sich eine gewisse Vertrautheit ein. Das beste was ich bis jetzt in diesem Genre gelesen habe. Ab jetzt ist das meine lieblings Autorin.