Prolog – Kaytlin –
»Ich will sie!«, donnert eine
laute, männliche Stimme durch den steinernen Gang. Die Worte hallen wider und vervielfältigen
sich, sodass ich keine Ahnung habe, wo sich ihr Ursprung befindet.
Außer einiger Fackeln und eines
roten Teppichs, der jeden meiner Schritte dämpft, sehe ich nur grauen Stein um
mich herum. Ganz so, als wäre dieser Gang mitten in einen Berg geschlagen
worden. Die Luft ist stickig und trocken. Jeder Atemzug kratzt in meiner Kehle
und ich wünschte, ich hätte eine Flasche Wasser oder etwas ähnliches dabei.
Zögernd setze ich einen Fuß vor den
anderen. Fahre mit den Fingerspitzen über die zerklüftete Wand und taste mich
den Weg entlang. Alles sieht vollkommen gleich aus. Selbst die beiden
Abzweigungen, an denen ich vorbeikomme, wirken identisch. Wird die Stimme
lauter? Bewege ich mich auf sie zu? Ich kann es nicht genau sagen. Will ich
überhaupt ihren Ursprung kennen? Sie klingt aggressiv. Schwer schluckend bleibe
ich stehen. Wische mit zittrigen Bewegungen meine schweißnassen Hände an meinem
T-Shirt ab.
»Sorgt dafür, dass sie nicht
untertaucht.« Den Zorn in seiner Stimme spüre ich bis in meine Eingeweide. »Am
besten bringt ihr sie hierher.«
»Sie müssen sich ausruhen, Eure
Hoheit«, erwidert eine Frau. »Ihr seid noch zu schwach.«
»Sag mir nicht, was ich zu tun
habe«, wird sie sofort zurechtgewiesen.
Inzwischen bin ich sicher, mich den
Stimmen zu nähern. Sie werden lauter. Weit kann ich nicht mehr von ihnen
entfernt sein. Schwindel erfasst mich, als ich mir eingestehen muss, sie zu
kennen. Doch das ist unmöglich!
Halt suchend, stütze ich mich an
der Wand ab. Nein, verdammt! Das kann nicht sein. Oder doch? Etwas in mir will
die Wahrheit wissen. Ich brauche Gewissheit, auch wenn die Hoffnung, dass ich
mich täusche, verschwindend gering ist.
Noch einmal atme ich tief durch.
Sammle Mut, den lauter werdenden Wortfetzen zu folgen, bis zu einer
schwarzgetäfelten Holztür, die zu meiner Rechten in die Wand eingelassen ist.
Nur kurz betrachte ich die edlen Ornamente, die sowohl den Rahmen als auch die
Tür selbst zieren. Sie wirken unpassend an einem Ort, an dem es nichts anderes
als Fackeln und rauen Stein gibt.
Angestrengt lausche ich auf jedes
Geräusch, das von der anderen Seite zu mir dringt. Schritte, das Schaben von
Stuhlbeinen über den Boden und leises Rascheln von Papier. Automatisch hebe ich
eine Hand und strecke sie nach der Klinke aus. Auf halbem Weg halte ich jedoch
inne. Will ich wirklich wissen, was — oder besser gesagt, wer — mich dahinter
erwartet? Alles in mir zieht mich in die entgegengesetzte Richtung. Weit weg
von dieser Stimme, die wie Säure durch meine Adern schießt.
Unsicher werfe ich einen Blick in
den leeren Gang hinter mir und trete einen Schritt zurück. Als mir auffällt,
dass ich noch immer die Hand erhoben habe, presse ich die Lippen hart
aufeinander. Nein, ich kann nicht einfach gehen, sondern brauche Gewissheit.
Egal, wie diese aussehen mag. Ehe ich es mir anders überlegen kann, stoße ich
die Tür mit einem Ruck auf. Lautstark knallt sie gegen die Wand. Der Mann, der
mittig in dem hell erleuchteten Zimmer steht, schnellt zu mir herum. Der weiße
Verband, der sich um seine Brust schlingt, springt mir sofort ins Auge. Doch
dann wandert mein Blick zu seinem Gesicht. Wild fallen ihm dichte Strähnen in
die rotfunkelnden Augen.
Keuchend weiche ich zurück. Pralle
mit dem Rücken gegen den Fels und schlage eine Hand vor den Mund. Unglaube
spiegelt sich auch in seinem Blick. Doch nur für den Bruchteil einer Sekunde.
Dann verzieht er den Mund zu einem schiefen Grinsen. Genau zu so einem, das
noch vor wenigen Wochen meine Knie hat weich werden lassen.
In diesem Moment löst es allerdings
nichts anderes als blankes Entsetzen in mir aus. Mein Fluchtinstinkt setzt ein
und ich renne los.
»Haltet sie auf!«
Ich habe keine Ahnung, wem er
diesen Befehl zubrüllt und es ist mir auch scheißegal. Bisher habe ich
niemanden gesehen. Vielleicht ist er irre? Oder doch nur ein Trugbild? Zu spät
bemerke ich den schwarzen Nebel, der durch die Spalten und winzigen Risse des
Steinganges und Boden quillt. Doch als wenige Meter vor mir eine klauenbesetzte
Hand daraus hervorragt und nach meinem Fuß greifen will, schreie ich auf und
springe zur Seite. Entsetzt beobachte ich Ddutzende Dämonen, die sich aus den
Schwaden herausschälen. Wie in meinen schlimmsten Albträumen bauen sie sich vor
mir auf. Ihre schwarzen Augen sind starr auf mich gerichtet. Sie peitschen
dornenüberzogene Schwänze in meine Richtung. Silberschwarze Hörner funkeln im
Schein der Fackeln.
Ich traue meinen Augen kaum. Angst
brodelt in jeder meiner Zellen, doch ich weiß, dass ich sie nicht zulassen
darf. Nicht, wenn ich überleben will. Also klammere ich mich an das Bild des
rothaarigen Mannes, der mir beinahe alles genommen hätte. Konzentriere mich
darauf, was er mir angetan hat und nutze die Wut darüber, um Energie aus den
Fackeln zu ziehen.
Ein Dämon direkt vor mir zieht zwei
lange, gebogene Dolche aus dem Hosenbund und stürzt brüllend auf mich zu. Den
Stacheln an seinen Handgelenken nach zu urteilen, bräuchte er diese gar nicht.
Ungeachtet dessen, schleudere ich einen fußballgroßen Feuerball direkt auf
seine Brust. Die Wucht des Aufpralls fegt ihn von den Füßen. Er fliegt nach
hinten, knallt gegen einen zweiten Dämon und reißt ihn mit sich zu Boden.
Bevor ich den nächsten mein Feuer
spüren lassen kann, hallt ein finsteres Grollen durch den Flur. Augenblicklich
stoppe ich. Ich kenne dieses Geräusch. Habe es bereits etliche Male gehört und
noch immer bringt es meine Knochen zum Vvibrieren. Schützend erschaffe ich eine
deckenhohe Feuerwand vor mir, ehe ich nach hinten blicke. Ein riesiger Dämon
mit Wolfsgesicht stapft zähnefletschend auf mich zu. Seine Hand umklammert
mehrere Metallketten, an deren Enden sechs hungrig und wütend aussehende
Halmasti zerren.
Mit einem leisen Klicken lösen sich
die Leinen und die Höllenhunde springen auf mich zu. Mir ist bewusst, dass ich
das niemals überleben kann. Es sind einfach zu viele. Gegen einen oder zwei
hätte ich vielleicht eine Chance. Aber nicht gegen eine Horde ausgewachsener
Dämonen und so viele Halmasti. Meine einzige Möglichkeit ist es, zu fliehen.
Ich wirble herum, schieße
blindlings Feuerbälle um mich und sprinte den Gang hinab. Selbst der
Echsendämon mit Dornenhandgelenken tritt grinsend beiseite. Scheinbar habe ich
ihn vorhin nicht ernsthaft verletzt. Doch warum lassen sie mich so einfach
durch? Ist das irgendein krankes Spiel? Egal, Hauptsache weg.
Eingehüllt in ein Flammenschild,
wage ich es trotz allem nicht, auch nur einen von ihnen aus den Augen zu
lassen, während ich an ihnen vorbeizische. Heißer Atem der Halmasti weht gegen
meinen Nacken. Ich erwarte jeden Moment, ihre messerscharfen Zähne in meinem
Fleisch zu spüren. Gehetzt ruckt mein Kopf nach hinten, als ich um eine Ecke
biege. Mein Fuß tritt ins Leere. Eine steile Treppe bahnt sich den Weg hinab in
die Dunkelheit. Ich verfehle die erste Stufe und verliere den Halt.